17 Dezember 2006

Hoi An im feinen Zwirn

Abgesehen von der an uns vorbeiziehenden, atemberaubenden Gebirgslandschaft und einem kotzenden Mädchen in der Reihe vor mir war die Busfahrt nach Hoi An weitgehend unspektakulär. Erwähnenswert wäre vielleicht noch die alte Vietnamesin, die bei einer unserer Pausen ausstieg, in aller Seelenruhe ihr linkes Hosenbein hochkrempelte und sich vor allen Leuten mitten auf den Parkplatz erleichterte. Doch auf diese Episode will ich nun wirklich nicht genauer eingehen.
Viel lieber berichte ich über das malerische Hafenstädtchen Hoi An, dessen historischen Kern die UNESCO 1999 zum Weltkulturerbe erklärte. Die engen Gassen mit den teilweise bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Kaufmannshäusern, Versammlungshallen und Familienschreinen weisen eine Mischung aus chinesischen, japanischen und vietnamesischen Einflüssen auf und verleihen der Innenstadt einen liebenswerten Charme. Entsprechend ist Hoi An heute ein fest etabliertes Touristenziel, was wiederum zur Folge hat, dass sich in den alten Gebäuden Souvenirgeschäfte, Kunstgalerien und vor allem Boutiquen breit gemacht haben. Ganze Straßen sind fest in der Hand der Schneider, die den naiven Touristen maßgefertigte Kleider, Anzüge und Hemden andrehen. "Wer fällt auf so etwas rein?", dachte ich kurz nach meiner Ankunft in Hoi An. Und - ihr ahnt es schon - keine 48 Stunden später stand ich mit drei prall gefüllten Plastiktüten in der Postfiliale, um meine gesammelten Einkäufe in Richtung Deutschland zu verschiffen.
Wie konnte es dazu kommen? Nun, zum einen ist eine Visite in Hoi An ohne Anzugkauf in etwa so wahrscheinlich wie ein Istanbul-Besucher, der ohne Teppich und Fez im Gepäck zurückkehrt. Zum anderen hat es die liebenswerte Familie der Boutique Diem Diem wirklich geschickt angestellt. Die schönen Töchter lockten mich in das Geschäft, wo der äußerst freundliche, wenngleich leicht senile Vater ein eisgekühltes Bier nach dem nächsten servierte und mich nach einer Viertelstunde zu seinem Sohn erklärte ("You my family, you son, you good"). Als wäre das noch nicht genug Manipulation, setzte mir die herzliche Mutter einen Teller mit vorzüglichem vietnamesischen Essen vor und bekräftigte die Adoption ("I you vietnam mama"). Satt und leicht angeheitert verließ ich das Diem Diem nach gut zwei Stunden - mit einer Kreditkartenrechnung von 125 Euro in der Tasche. Im Gegenzug bin ich nun stolzer Besitzer von 2 Anzügen, 4 Hemden und 2 Hosen - alles maßgeschneidert und (angeblich) beste Qualität. Zudem ließ es sich meine Ersatzfamilie nicht nehmen, mich bei den Anproben am nächsten Tag erneut fürstlich zu bewirten und mir obendrein noch 3 Krawatten, 2 Boxershorts und 4 Geldtaschen ("for you, your mum, your girl-friend and you sister") als Souvenirs einzupacken. Bleibt eigentlich nurmehr ein Problem: Wo finde ich jetzt den Job, in dem ich all die Hemden und Anzüge anziehen kann?
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Ich im Anzug mit meiner "Mama Vietnam"

Nach drei Nächten in Hoi An ging es weiter in Richtung Norden nach Hué. Die frühere Haupt- und Kaiserstadt ist so etwas wie das Weimar Vietnams - das kulturelle wie geistige Zentrum des Landes. Entsprechend schnallte ich hier die Kamera um und begab mich auf Sightseeingtour. Der gestrige Tag brachte mich und mein Leihfahrrad dabei zu den imposanten Überresten der kaiserlichen Zitadelle und den Palästen der Verbotenen Purpurstadt, die inmitten von Hués berühmten Gartenanlagen liegen. Weiter ging es heute mit einer Bootsfahrt auf dem ebenso schön klingenden, wie euphemistisch bezeichneten Parfümfluss. Die ganztägige Tour beinhaltete die Besichtigung von zwei prächtigen Pagoden und drei der majestätischen Kaisergräber. Letztere erstrecken sich entlang des Parfümflusstals und liegen wunderschön umgeben von Tempeln, Pavillons und üppigen Gärten. Zwischen derart geballter Kultur - und nun folgt sicher kein unbedeutender Grund, warum mir Hué außerordentlich gut gefällt - habe ich in den Restaurants der Stadt das bisher beste Essen in Vietnam genossen. Gedämpfte Frühlingsrollen, Klebreis, frittierte Crepes, Bananenkuchen, Fruchtsalat und ein 6-Gänge-Menü bestehend aus lokalen Spezialitäten für 40.000 Dong (kein Spaß, Vietnams Währung heißt wirklich Dong und 20.000 entsprechen etwa einem Euro) - kulinarisch gesehen war der Aufenthalt ein absolutes Highlight.
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"Pavillon der Ewigen Klarheit" in Hués kaiserlichen Zitadelle

Nach Shopping, Kultur und Schlemmen fühle ich mich nunmehr bereit, den wohl anstrengendsten Teil meiner Vietnam-Tour anzugehen. Noch heute Abend um 17 Uhr startet der Bus in das 650 Kilometer entfernte Hanoi, wo wir gegen 6 Uhr des nächsten Morgens erwartet werden. Geht alles nach Plan, dann erwische ich dort einen Zug nach Lao Cai - noch einmal 350 Kilometer bzw. 9 Stunden Fahrt - ehe mich ein letzter Bus (1 1/2 Stunden) nach Sa Pa in den äußersten Nordwesten des Landes bringt. Über den kleinen Ort an der chinesischen Grenze habe ich nun schon mehrere Reisende begeistert berichten hören, so dass ich mich entgegen meinen ursprünglichen Plänen entschlossen habe, einen Umweg von 700 Kilometern auf mich zu nehmen, bevor als letzte Station in Vietnam die Hauptstadt Hanoi ansteht.

Seit ich Saigon verlassen habe, ist es mir in keinem Internet-Cafe gelungen, meinen Blog aufzurufen, obwohl ich weiterhin Texte und Bilder posten kann. Da jedoch bisher keine angsterfüllten Mails von Mama gekommen sind und auch andere Blogs bei blogger.com mit einer Fehlermeldung ladfen, vermute ich, dass die auf Stromlinienförmigkeit bedachte Zensurabteilung der vietnamesischen Regierung dafür veranwortlich ist. Nun gut, muss ich halt bis China warten - oder vielleicht doch besser Hongkong.

2 Comments:

At 3:03 PM, Anonymous Anonym said...

Hey Pat,

guad schaust aus im neuen Zwirn. Sicherlich nicht so billig wie für übliche Touristen, da ja bei dir mehr Stoff für die Ärmellänge gebraucht wurde.

Immerwieder schön zum lesen und irgendwie hab ich das Gefühl, daß ich auf eine kleine kulinarische Reise Richtung Asien gehen sollte.
Dieser asiatische Raum scheint es dir wirklich angetan zu haben. Genieße die restliche Zeit und schreib fleißig, so das ich neben der Arbeit ein bisschen lesen und träumen kann.

Ciao Stan the man

 
At 6:14 AM, Blogger Patrik said...

Hey Stan,
endlich kann ich in diesem kleinen Internet-Cafe in Hanoi also mal wieder mein eigenes Blog erreichen...
Asien kann ich uebrigens nur empfehlen, auch wenn es dir bei den Hygiene-Standards in den Restaurants hier wahrscheinlich kalt den Ruecken runter laufen wird...
Dir frohe Weihnachten und einen guten Rutsch,
Patrik

 

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