30 Mai 2007

Südamerika - ein Rückblick

Der Garchinger Journalist Patrik Stäbler hat im Sommer sein Studium beendet. Nun erfüllt sich der 27-Jährige einen Traum: In sieben Monaten reist er einmal um die Welt. An dieser Stelle berichtet er alle zwei Wochen von seinen Erlebnissen.

Mendoza, Argentinien (ps) – Anfangs war ich enttäuscht von Südamerika. Oder besser: Der Kontinent hat mich überrascht. Zugegeben, ich hatte mich nie viel mit Südamerika beschäftigt, doch wie jeder, so hatte auch ich Vorstellungen. Argentinien, Bolivien, Chile – für mich klang das nach Gesetzlosigkeit, Che Guevara und einem Hauch Anarchie. In etwa wie der Wilde Westen, nur in Spanisch und ohne Indianer. Ich erwartete Gauchos mit dicken Schnurrbärten, die Rinder durch die Straßen treiben und Kokablätter kauende Frauen in weiten Röcken. Auch mit zwielichtigen Gestalten rechnete ich, die mit der Zigarette im Mundwinkel in dunklen Gassen lauern, um leichtsinnigen Gringos ein paar Peso abzuknöpfen.
Dann kam ich nach Santiago, Chiles Hauptstadt. Der Flughafen war sauberer und besser organisiert, als ich es aus vielen Orten Europas kenne. Im klimatisierten Bus ging es ins Zentrum. Dort angekommen, traute ich meinen Augen nicht. Statt Cowboys zogen Businessleute im Anzug durch die Straßen. Nicht Panflöten oder Gitarren, sondern Handy-Klingeltöne drangen an mein Ohr und keine 100 Meter entfernt leuchtete das Symbol der Westlichen Welt schlechthin – die goldenen Bögen von McDonalds. Da zog vor mir eine Gruppe Jugendlicher vorbei. Während die Jungen in ihrem Aussehen den Idolen aus MTV nacheiferten – das heißt: möglichst aussehen, als wäre man aus dem Gefängnis ausgebrochen – schienen die Mädchen einen Wettbewerb auszutragen, wer den kürzesten Rock und das meiste Make-Up trägt. Kurzum, es war wie Zuhause.
Seitdem bin ich zwei Monate durch den Kontinent gereist und war oft überrascht, wie modern, kommerziell und westlich viele Orte in Chile und Argentinien sind. Doch ich habe auch das andere Südamerika erlebt, etwa im bolivianischen Uyuni. Dort liefern sich Kinder keine Modewettbewerbe, sondern betteln in Unterhemd und Sandalen. Horden von abgemagerten Hunden liegen in den von Müll gesäumten Straßen und mein Hotel hätte nicht einmal die Hygienestandards einer deutschen Bahnhofstoilette erfüllt. Statt bei McDonalds aß ich an einem Marktstand undefinierbare Speisen. Am Tag danach las ich im Reiseführer: An eben jenem Markt herrscht akute Cholera-Gefahr. Sie merken: Dieses Südamerika hatte mit Europa in etwa so viel gemein, wie Ottfried Fischer und Magersucht – doch gerade das machte es interessant. So habe ich mittlerweile ein anderes Bild von Südamerika und heute, zwei Tage vor meiner Abreise, steht fest: Der Kontinent hat meine Erwartungen übertroffen.

In: Münchner Merkur 2./3. Juni 2007

Die zwei Gesichter Südamerikas: Eine Einkaufsmeile in Buenos Aires (Foto 1) sowie die Hauptstraße im bolivianischen Uyuni (Foto 2)
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Hier findet Ihr Fotos aus dem wunderbaren, aber eisig kalten Buenos Aires (2-5 Grad Tagestemperatur. ZWEI! Grad) zusammen mit einigen kurzen Kommentaren. Zu einem vollständigen Bericht hat es nicht gereicht, schließlich ist mein ganzes Kreativitätspotenzial derzeit mit der Aufgabe beschäftigt, eine gelungene Antwort auf die nach meiner Rückkehr wohl unvermeidliche Frage zu finden: "Und, wie wars?"

26 Mai 2007

Gedankensprünge in Argentinien

Nun ist es also soweit: Meine letzte Urlaubswoche hat begonnen und ich mache mich auf nach Buenos Aires. Doch der drohende Rückflug kann mich nicht irritieren, denn ich habe einen weisen Rat von Zuhause befolgt: Gar nicht über das Ende der Reise oder gar das Danach grübeln, sondern besser die verbleibenden Tage in der Ferne in vollen Zügen genießen. Das habe ich gemacht: In der schmucken Weinhauptstadt Mendoza - auch wenn ich mich im Hinblick auf meinen Magen nach der Whisky-Eskapade in Valparaiso (siehe letzter Eintrag) in Sachen Wein zurückgehalten habe - im beschaulichen San Juan und im Studentenmekka Cordoba, wo ich von Magda aus Österreich eine interessante Einführung in das legendäre Nachtleben der Stadt erhalten habe. Doch so schön all das auch war, von diesen Erlebnissen will ich hier nicht berichten. Vielmehr werde ich auf zwei Gedanken eingehen, die eigentlich in keinerlei Zusammenhang stehen, außer dass ich sie beide schon vor längerer Zeit in meinem kleinen, schwarzem Büchlein notiert habe.

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Ein Albino-Frosch: Im bizarren Aquarium von Mendoza

Erstere beginne ich am besten mit zwei Witzen aus meinem Reiseführer. "Frage: Wie begeht ein Argentinier Selbstmord? Antwort: Er stürzt sich von seinem Ego." Der Andere: "Frage: Wie erkennt man einen argentinischen Spion? Antwort: An dem Schild auf seinem Rücken 'Ich bin der beste Spion der Welt'." Ihr merkt schon, Argentinien ist nicht unbedingt das beliebteste Land in Südamerika, vor allem weil den Einwohnern eine grenzenlose Arroganz nachgesagt wird. Jene stört das jedoch herzlich wenig. In ihren Augen ist ein gewisses Überlegenheitsgefühl berechtigt, schließlich verfügen sie doch über das beste Essen (Steak), den aufregendsten Tanz (Tango), das leckerste Getränk (Mate) und natürlich die hübschesten Frauen der Welt. Mich erinnert das ganze ein wenig an Bayern - okay, abgesehen von der Sache mit dem Tanz - und vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich mich hier so wohl fühle. Denn zumindest alle Argentinier, mit denen ich gesprochen habe, waren nicht arrogant, sondern liebenswürdig und gastfreundlich. Die Steaks sind tatsächlich derart lecker, dass man selbst das letzte Stück des fußballgroßen Fleischlappens noch gierig verschlingt. Und zu den Frauen sage ich nur: Neben "Mein Spanisch ist sehr schlecht" kann ich mittlerweile einen weiteren spanischen Satz perfekt und ohne nachzudenken. Er lautet: "Entschuldigung, du kennst mich nicht, aber willst du mich vielleicht heiraten?" Dabei habe ich die Hauptstadt Buenos Aires, das Epizentrum der Steaks, der schönen Frauen und angeblich auch der Arroganz, noch nicht einmal besucht.

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Don Quichotte - als Mosaik am Plaza España in Mendoza

Was mich zu meiner anderen Geschichte bringt, oder eigentlich nicht, denn selbst nach 53 Blog-Einträgen will es mir nicht gelingen, eine Überleitung zwischen den beiden Anekdoten zu finden. Der einzige Zusammenhang: Auch Notiz Nummer zwei spielt in Argentinien, genauer gesagt in Ushuaia. Zusammen mit meiner amerikanischen Freundin Alexis hatte ich dort eine Bootstour auf dem Beagle Channel unternommen - einem von drei Verbindungskanälen zwischen Atlantik und Pazifik. Wir saßen gerade in der Kabine und wärmten uns bei einer Tasse Kaffee, als Alexis mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch kam, ebenfalls aus den Staaten. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, denn zum einen ist Small Talk zwischen Amerikanern in etwa so aufregend wie Interviews mit Ronald Pofalla und zum anderen hatte der Kapitän gerade einen riesigen Teller mit diversen Keksen vor mir auf den Tisch gestellt, der verständlicherweise weit mehr Aufmerksamkeit verdiente. Trotzdem vernahm ich, wie die Dame zu Alexis sagte: "Du bist aber eine tapfere junge Frau" und das ließ mich aufhorchen. Schließlich ist Alexis aus Boston, einer amerikanischen Stadt, die zwar wie jede andere ihre Problemviertel hat, im Großen und Ganzen jedoch vergleichsweise sicher und zudem wunderschön ist. "Was sagt die Frau erst, wenn sie hört, dass ich in Detroit gelebt habe?" dachte ich mir. Schließlich hat das einstige Motown in den USA nicht umsonst den Spitznamen "Murder-Town". Ich wollte also gerade anfangen von Maschinengewehrsalven bei Nacht und Gang-Graffitis an den Häuserruinen der Innenstadt zu erzählen, da hörte ich, wie die Frau hinzufügte: "Schließlich reist du ganz alleine durch Südamerika."
Was folgte, war ein Hustenanfall meinerseits, da ich vor Lachen einen halben Keks verschluckt hatte. Da unterhielten sich doch tatsächlich drei Menschen aus dem Mutterland der Waffennarren und Schul-Blutbäder über die Sicherheit in Südamerika? Das ist in etwa so, wie wenn der kolumbianische Präsident seinem schweizer Kollegen Vorwürfe ob des dortigen Drogenkonsums machen würde. Naja, zumindest beinahe. Ich will betonen: Meine Aussagen beziehen sich auf die hauptsächlich von mir (und von Alexis und von dem Ehepaar) bereisten Länder Argentinien und Chile, und fraglos gibt es auch hier Kriminalität. Doch obwohl ich die Statistiken nicht kenne, würde ich die Erfahrungen meiner sieben Reisemonate verwetten, dass die dortigen Kriminalitätsraten selbst zusammen genommen nicht mit der in den USA mithalten können. Ich persönlich kann sagen: In bisher allen von mir besuchten Orten habe ich mich sicherer gefühlt, als in so mancher deutschen Stadt - ganz zu Schweigen von jeder Amerikanischen. Aber vielleicht sollte ich mit solchen Aussagen noch eine Woche warten, denn schließlich habe ich mit Buenos Aires den angeblich gefährlichsten Ort der Region noch nicht besucht. Ach verdammt! "Noch nicht in Buenos Aires" - das wäre mein Übergang zwischen den Geschichten gewesen...

22 Mai 2007

Gewichtiges aus Valparaiso

Da stand ich also, in einem der schäbigeren Nachtklubs von Valparaiso, mitten auf der Tanzfläche und mit einem Whisky-Cola in der Hand - aus Rücksicht auf Mama sei es einmal dahin gestellt, der Wievielte. Vor mir tanzte ein grinsender 150-Kilo-Koloss von den Osterinseln, der den Whisky spendiert hatte und neben ihm lachte mich ein junge Chilenin an, die er mir als "mi hermana", seine Schwester, vorgestellt hatte. Momente wie jener - vollkommen ungeplant, ein wenig bizarr und Zuhause niemals denkbar - sind wohl der Hauptgrund, warum Reisen in gewisser Weise süchtig machen kann. Denn so beeindruckend die Orte und Sehenswürdigkeiten auch sind, so lecker das fremde Essen, so interessant die kulturellen Erfahrungen - das alles kann mit den Menschen, denen man auf solch einer Reise begegnet, nicht mithalten. Wie eben jenes tanzende Ebenbild eines neuseeländischen Rugbyspielers, der mir in Valparaiso über den Weg lief. Wie es dazu kam? Ein kurzer Erklärungsversuch.

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Die außergewöhnliche Architektur macht Valparaiso einzigartig

Eigentlich hatte es wie ein typischer Backpacker-Abend begonnen. Untertags war ich im Hostel mit Neil ins Gespräch gekommen, einen sympathischen Deutsch-Amerikaner aus Heidelberg, und hatte mich mit ihm für den Abend auf ein Bier verabredet. Während wir im Gemeinschaftsraum der Herberge an unseren brasilianischen Brahma-Dosen nippten und Reisegeschichten austauschten, schloss sich uns Stephan an, ein in Frankreich geborener Engländer, für den es nach fünf Monaten Südamerika am übernächsten Tag zurück in die Heimat ging. Nach dem ein oder anderen weiteren Bierchen und viel später als geplant zogen wir schließlich gegen Mitternacht los, um das Nachtleben Valparaisos zu erkunden. Per Zufall landeten wir in einem irischen Pub, der in etwa so irisch war, wie gutes Wetter. Wir wollten schon weiterziehen, da rannte ich auf der Toilette in einen Schrank von einen Chilenen, der sich gerade die Hände wusch. "Como estas?" (Wie gehts?), fragte ich - eine Begrüßung, die in Deutschland mit argwöhnischen Blicken geahndet wird, in jedem anderen Land jedoch völlig normal ist. "Danke bestens", antwortete Goliath. "Wo kommst du her, Bruder?" Ich erklärte ihm also "Deutschland, meine beiden Freunde aus England und Amerika", woraufhin er darauf bestand, dass wir drei uns zu ihm und seinen beiden Kollegen an den Tisch setzen - wie im Comic war einer von ihnen riesig (geschätzte 150 Kilo), einer groß (~ 110kg) und einer winzig (~60kg).

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"Valpo" ist zweifelsfrei einer der charmantesten Städte Südamerikas: Hier einer der für den Ort charakteristischen Schrägaufzüge

Was danach folgte, waren einige ungemein lustige Stunden, was ich vor allem auf drei Dinge zurückführe: (a) Die drei Jungs waren zum Brüllen komisch und hatten unzählige Anekdoten parat, (b) da die drei nur sehr wenig Französisch und Englisch sprachen, und die Spanischkenntnisse von uns dreien durchaus verbesserungswürdig sind, unterhielten wir uns in einem interessanten Sprachengemisch - inklusive zahlreicher, immer für Lacher sorgende Versprecher, sowie (c) die volle Flasche Whisky, aus welcher der Riese jedem Anwesenden fleißig nachschüttete. Nachdem sich die irische Bar genauso wie unsere Whiskeyflasche langsam geleert hatte, mussten die Osterinsel-Drillinge uns nicht lange überreden, noch "ihren" Nachtclub in Valparaiso zu besuchen. "Nur Leute aus Rapa Nui (Osterinsel) und lauter hübsche Mädchen", versicherte mir der Mittelgroße mit leuchtenden Augen. Kaum angekommen, wartete dort die nächste Whiskyflasche - ohne Bestellung: es schien tatsächlich "ihr" Laden zu sein - so dass ich langsam nicht nur einen schweren Kopf, sondern auch ein schlechtes Gewissen bekam. "Komm schon, jetzt laden wir euch mal ein", brüllte ich gegen die ohrenbetäubende Tanzmusik an. Es war ein vergeblicher Versuch. "Nein, nein, mein Bruder. Du trinkst und tanzt jetzt", erklärten die 175 Kilo lachend und versetzten mir einen, für ihn wohl leichten, Stoß, der mich wie ein Curlingstein in die Raummitte gleiten ließ. Da stand ich also, in einem der schäbigeren Nachtklubs von Valparaiso, mitten auf der Tanzfläche und mit einem Whisky-Cola in der Hand - aus Rücksicht auf Mama sei es einmal dahin gestellt, der Wievielte.

19 Mai 2007

Als Deutscher im Ausland

Der Garchinger Journalist Patrik Stäbler hat im Sommer sein Studium beendet. Nun erfüllt sich der 27-Jährige einen Traum: In sieben Monaten reist er einmal um die Welt. An dieser Stelle berichtet er alle zwei Wochen von seinen Erlebnissen.

Uyuni, Bolivien (ps) - Eine meiner ersten Urlaubserinnerungen stammt aus England. Ich war keine zehn Jahre alt und mit meinen Eltern im Süden der Insel in einer Ferienanlage. Schnell lernten mein Bruder und ich andere Urlaubskinder kennen, unter anderem einen gleichaltrigen Jungen aus England. Ich erinnere mich nicht, warum wir damals stritten, doch ich weiß noch, wie es endete: Der englische Junge legte seinen Finger auf die Oberlippe und brüllte uns "Hitler! Hitler!" entgegen. Heute würden Zehnjährige wohl anders reagieren - ich befürchte, einige hätten für solche Fälle ihr Springmesser griffbereit - doch mir fiel damals nur eines ein: heulend zu Mutter flüchten.
In den folgenden Jahren machte ich weitere Erfahrungen als Deutscher im Ausland und nur selten fielen sie positiv aus. Wahlweise waren wir verkappte Nazis, arrogante Piefkes, Bier saufende Teutonen oder Sandalen mit weißen Socken tragende Langweiler. Sicher, offene Anfeindungen blieben die Ausnahme, doch in mancher Situation habe ich auf die Frage nach dem Heimatland mit Schweiz (mag jeder) oder Liechtenstein (kennt keiner) geantwortet.
Entsprechend war ich zu Beginn meiner Weltreise leicht nervös, wenn Einheimische nach meiner Herkunft fragten. "Deutschland, München", murmelte ich leise und war überrascht von den Reaktionen. "Munich", riefen Australier und Neuseeländer unisono mit glänzenden Augen. "Da muss ich unbedingt mal hin. Zum Oktoberfest." In Südamerika war nicht Bier, sondern Fußball der erste Gedanke beim Stichwort Deutschland. "Was eine Weltmeisterschaft! Ihr hättet den Titel verdient", hörte ich sogar in Argentinien, so dass ich dort im Gegenzug das Thema Elfmeterschießen nicht einmal erwähnte. Allein von Südostasiaten erntete ich als Münchner traurige Blicke. "Ballack zu Chelsea", erklärten sie mitleidsvoll, als wäre ich persönlich für das Schicksal des FC Bayern verantwortlich. Doch abgesehen davon waren die Menschen auch hier begeistert, einen Deutschen zu treffen.
Fast noch mehr als die Einheimischen überraschten mich jedoch andere Reisende. Engländer, Franzosen, Spanier, Kanadier – fast jeder wusste etwas Positives über meine Heimat zu berichten. Eine Amerikanerin in Argentinien erklärte etwa: "Du kommst aus Deutschland? Das ist aber cool." Und während ich überlegte, wann ich Deutschland und cool das letzte Mal in einem Satz gehört hatte, fuhr sie fort: "Da würde ich gerne Urlaub machen: Berlin sehen, München und Amsterdam." Hier konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, doch gesagt habe ich kein Wort.

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Auch die Maoris in Neuseeland haben Deutsche gern

In: Münchner Merkur, 19./20. Mai 2007

15 Mai 2007

Das Salz in der Reise-Suppe

Bangkok war meine erste Erfahrung in Sachen asiatische Großstadt und ich erinnere mich noch gut an meine Reaktion. Mit offenem Mund und staunenden Augen lief ich durch die Straßen wie ein Junkie in Amsterdam und nicht selten rief mich erst das entsetzte Hupen eines um Zentimeter an mir vorbei schrammenden Mopeds in die reale Welt zurück. Menschen, Essen, Verkehr, Architektur, Hygiene - alles war anders als Zuhause und neu für mich. In Phnom Penh, der zweiten Millionenstadt in Südostasien, jagte mich meine Entdeckungslust erneut durch die Straßen, doch bereits hier wurden begeisterte Ausrufe, große Augen und spontane Fotos seltener. Später in Saigon und Hanoi versiegte die anfängliche Faszination schließlich nahezu gänzlich: Was ich in Bangkok noch eine halbe Stunde bestaunt hatte als wäre es ein fliegender Elefant, war mir nun höchstens noch einen flüchtigen Blick wert. Und so ging es nicht nur mit asiatischen Großstädten. Schmuckreich verzierte buddhistische Tempel, einsame Traumstrände in Australien, perfekte Postkarten-Panoramen in Neuseeland, Gletscher in Chile und argentinische Steaks - was mir beim ersten Mal noch wie ein einzigartiges Erlebnis vorkam, wurde bald zur Gewohnheit. Es ist ein hässliches Wort, doch als Dauertourist wird man mit der Zeit verwöhnt.

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Wieder ein Traumstrand: Hier an Australiens Westküste

Gegen diese Reisekrankheit habe ich ein nahezu todsicheres Gegenmittel entwickelt: Ich stelle mir einfach vor, was ich zur gleichen Zeit im heimischen München machen würde. Im Regelfall ist das arbeiten, frieren oder mich über die erbärmliche Bayern-Saison ärgern - wahrscheinlich alles drei gleichzeitig. Das hilft immer.
Manchmal jedoch ist dieser Trick vollkommen überflüssig und ich verschenke nicht einen Gedanken an Zuhause. Das ist der Fall, wenn ich Orte besuche, die schlichthin derart faszinierend sind, dass ich selbst nach Stunden oder Tagen noch ungläubig den Kopf schüttele in einer Mischung aus Begeisterung und Staunen. Sie sind - sieht man einmal von den vielen neuen Bekanntschaften ab - die Highlights meines Trips und drängen sich auf, wenn ich nach meinen besten Reiseerlebnissen gefragt werde. In den letzten beiden Wochen hatte ich das Glück, gleich zwei solche Orte zu besuchen. Fast kommt es mir vor, als wolle mich Südamerika überzeugen, doch den ein oder anderen Monat dranzuhängen. Zum einen handelte es sich um die im letzten Beitrag bereits gehuldigten Wasserfälle von Iguazu. Zum anderen war es die am vergangenen Samstag gestartete Dreitagestour rund um die bolivianische Salar de Uyuni, der größten Salzwüste der Welt.

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Salar de Uyuni: 12.500 Quadratkilometer Salz

Von Uyuni ging es zu sechst im Toyota Landcruiser durch den genauso menschenleeren wie landschaftlich atemberaubenden Südosten Boliviens. Drei Tage und zwei Nächte kosteten samt Unterkunft und vorzüglicher Verpflegung gerade einmal 60 Euro - allein wegen der Preise muss man Bolivien lieben. Ich könnte nun berichten von rauchenden Vulkanen, dampfenden Geysiren, Bergketten in den verschiedensten Farben, Salzlagunen, Thermalquellen, der Salvador-Dali-Wüste und natürlich dem Star der Show: Der 12.500 Quadratkilometer großen, blendend weißen Salar de Uyuni. Doch wie schon bei den Iguazu-Fällen ist es schwer, diese Landschaften à la Bob Ross in Worte zu fassen. Deshalb verweise ich lediglich auf die Fotos (siehe unten) und verzichte auf weitere Beschreibungen.

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Eine Salzlagune auf 4.500 Metern Höhe

Ansonsten bin ich mittlerweile im Norden Chile gelandet, auch weil der unerbittlich tickende Countdown (nur noch zwei Wochen) leider immer stärkere Kontrolle über meine Reisepläne ausübt. In der Form eines L´s werde ich mich von hier aus zuerst nach Süden und ab Valparaiso nach Osten in Richtung Argentinien und Buenos Aires aufmachen. Die Stopps auf dem Weg versprechen ein wenig Kultur (La Serena), eine angebliche einzigartige Stadt (Valparaiso), den besten Wein Südamerikas (Mendoza), das spektakuläre Valley of the Moon (Nationalpark Ischigualasto) und schließlich die aufregendste Metropole südlich von Rio de Janeiro: Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires. Meinen kleinen Trick gegen das Verwöhntsein werde ich wohl nicht mehr anwenden müssen. Denn außer den Gedanken an Zuhause habe ich eine zweite Methode entdeckt: Einfach einen Blick in den Kalender mit dem rot angestrichenen Rückflug werfen und schon genieße ich jede Urlaubsminute wie den ersten Tag meiner Reise.

Hier findet ihr Fotos von meiner Tour durch Bolivien

10 Mai 2007

Von unfassbaren Wassermassen

Niagara Falls, die Kaskaden im neuseeländischen Milford Sound und die Isar-Schwelle von Ismaning - in Sachen Wasserfällen hatte ich alles gesehen. Das dachte ich zumindest. Dann besuchte ich letzte Woche das im Dreiländereck von Argentinien, Brasilien und Paraguay gelegen Puerto Iguazu, welches ich zuvor nur aus dem leider viel zu selten aufgeschlagenen Spanisch-Buch kannte. Seitdem weiß ich: Meine kleine Liste war nicht komplett. Oder besser: Über den drei genannten spielen die Iguazu Falls in einer Liga für sich. Denn selbst die donnernden Massen von Niagara an der kanadisch-amerikanischen Grenze können mit dem Wasser-Inferno am Rio Iguazu nicht mithalten. Einerseits ist es die Quantität: Nicht ein, zwei, fünf oder zehn, sondern Hunderte von Wasserfälle stürzen auf einer Länge von zwei Kilometern über das bis zu 80 Meter hohe Basaltplateau vulkanischen Ursprungs. Andrerseits ist auch die Qualität atemberaubend. Nehmt alleine den Garganto del Diablo (Schlund des Teufels): Geformt wie ein Hufeisen, donnern die Wassermassen hier gleich von drei Seiten in die Tiefe. Die aufgewirbelte Gischt ist von weitem sichtbar und in der Umgebung der Fälle stehen die Tropfen in der Luft. So ähnlich haben sich Seefahrer früher wohl das Ende der Welt vorgestellt.

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Ein Wasserfall-Inferno: Die Fälle von Iguazu

Nachdem ich dieses Spektakel jeweils einen Tag sowohl von argentinischer, wie auch von brasilianischer Seite bewundert und dabei gefühlte 300 Fotos geschossen hatte - ganz nebenbei durfte ich Brasilien als Land Nummer neun meiner Reise notieren - ging es von Puerto Iguazu weiter nach Salta, der Hauptstadt der gleichnamigen argentinischen Provinz. Auf der Landkarte erinnert die Distanz zwischen den beiden Orten ein bisschen an die Strecke von München nach Stuttgart - ein gutes Stück nach Westen und ein wenig nach Norden. Doch leider ist Argentinien nicht Deutschland und so kam mein um 21.30 Uhr in Iguazu abgefahrener Bus erst um 1.30 früh in Salta an - des übernächsten Tages wohlgemerkt, nach 28 Stunden Fahrt. Ich weiß, mancher Leser wird mich mittlerweile für einen notorischen Jammerlappen halten und die ewigen Busgeschichten nicht mehr hören können. Doch ich bitte euch: 28 Stunden! Dazu die in Geschmack und Konsistenz an Styropor erinnernden Mahlzeiten (Essenskritik - aus meinem Mund!) sowie Filme à la Seabiscuit und Transporter 2, die selbst im gemütlichen Fernsehsessel eine Qual wären.

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Nein, der Regenbogen stammt nicht aus Photoshop

Nachdem ich einen Tag die Großstadtatmosphäre in Salta genossen und danach einen Abstecher in der beeindruckenden Canyon-Landschaft von Cafayate (siehe Fotos) gemacht hatte, ging es weiter in Richtung Norden nach Humahuaca. Das 6.000 Einwohner fassende Städtchen liegt auf 3.000 Meter Höhe und ist fraglos der schönste Ort, den ich bisher in Argentinien besichtigt habe. In dem beschaulichen Stadtkern reihen sich kleine, braune Lehmhäuser in engen Gassen aus Kopfsteinpflaster und ab und zu taucht dazwischen ein blendend weißes Gebäude im spanischen Kolonialstil auf. Als ich am zweiten Tag zur Erkundung der Canyon-Landschaft um Humahuaca (die Quebrada de Humahuaca - UNESCO-Weltkulturerbe) aufbrach, traf ich am Bus-Terminal auf ein Mädchen mit Rucksack und Karte in der Hand. "De donde eres?" (Wo kommst du denn her?), fragte ich sie in der festen Überzeugung, dass sie wahrscheinlich aus Frankreich, sicher aber aus Europa kommen würde. Doch zu meiner Überraschung antwortete sie: "Argentina, Buenos Aires." Warum ich das alles erzähle? Nun, das Mädchen, Fernanda, erwies sich als äußerst sympathisch, so dass wir kurzerhand beschlossen, den Tag gemeinsam zu verbringen und zusammen die Salzwüste Salinas Grande zu erkunden. Das Wichtigste hierbei: Die ganze Zeit haben wir uns ausschließlich auf Spanisch unterhalten. Und auch wenn meine Sätze immer noch denen eines Dreijährigen gleichen, so konnte ich mich doch - meistens zumindest - mit ihr verständigen. Zugegeben, sie hat sicher mehr geredet als ich, doch das führe ich einfach einmal auf die geschlechtsspezifischen Eigenheiten und nicht auf meine mangelnden Sprachkenntnisse zurück.

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Mit Fernanda vor dem Cerro de Siete Colores

Ansonsten ist fast unbemerkt mein letzter Reisemonat angebrochen - höchstwahrscheinlich zumindest. Denn je kürzer die verbleibende Zeit wird, desto mehr wird mir bewusst, wie vielen sehenswerten Orten in Südamerika - oder selbst in Argentinien und Chile - ich wohl ungesehen den Rücken kehren muss. Dabei wären von meinem momentanen Standort aus so reizvolle Ziele wie Bolivien, der Norden Chiles und Peru mit Machu Picchu in verlockender Reichweite (verlockender Reichweite = weitere 20+ Stunden Busfahrten) - einige zusätzliche Wochen oder Monate Reisezeit vorausgesetzt. Und von Ländern wie Ecuador oder Kolumbien will ich gar nicht erst anfangen zu denken. Denn bisher zumindest halte ich weiterhin an meinem geplanten Rückflug fest und versuche mich mit einem "das nächste Mal" zu vertrösten. Denn eines steht jetzt schon fest: Südamerika und besonders die genannten Regionen stehen weit oben auf meiner Liste mit zukünftigen Reiseziele. Das Problem: Anstatt mit zunehmender Reisedauer zu schrumpfen, wird diese Liste länger und länger.

Hier findet ihr weitere Fotos von den Iguazu-Fällen (wie gesagt, hier ist meine Kamera mit mir durchgegangen) sowie von Salta und Umgebung.

03 Mai 2007

Lustig ist das Touristenleben...

Der Garchinger Journalist Patrik Stäbler hat im Sommer sein Studium beendet. Nun erfüllt sich der 27-Jährige einen Traum: In sieben Monaten reist er einmal um die Welt. An dieser Stelle berichtet er alle zwei Wochen von seinen Erlebnissen.

Ushuaia, Argentinien (ps) ist - es steht im Reiseführer, an jedem Souvenirshop und auf dem Ortseingangsschild - die südlichste Stadt der Erde. Ihr Slogan lautet Fin del Mundo: das Ende der Welt. Hat man nicht gerade 3.000 Euro für eine Antarktis-Expedition übrig, ist dies eigentlich der einzige Grund für einen Besuch. Trotzdem steht die Stadt auf der Reiseroute vieler Touristen. Sie lassen sich mit dem Fin del Mundo-Schild ablichten, holen sich im Postamt den Fin del Mundo-Stempel für den Reisepass und manch einer besucht sogar das Museum Fin del Mundo, das mit vergilbten Fotos und ausgestopften Vögeln von moderatem Interesse ist. Für Ushuaia ist der Titel ein Segen: Auf der Touristenmeile reihen sich Hotels, Restaurants und Läden, die vom Aufkleber bis zum gigantischen Stoffpinguin jegliche sinnfreie Andenken verkaufen.
Doch Ushuaia ist nicht der erste Touristenort mit zweifelhaftem Besuchswert, in den es mich auf meiner Reise verschlagen hat. Spitzenreiter hierbei ist Neuseeland. Zufällig landete ich dort in Taihape, der selbst erklärten Gummistiefel-Hauptstadt der Welt. Um Touristen anzulocken, platzierten die Stadtväter einen fünf Meter hohen Gummistiefel neben die Hauptstraße. Zudem findet jährlich eine Weltmeisterschaft im Gummistiefel-Weitwurf statt. Rekordhalter ist der Finne Jouni Viljanen mit 65 Metern.
Mein Favorit in Sachen Touristennepp ist jedoch Baldwin Street in Dunedin. Ein Schild verrät: Es ist die steilste Straße der Welt. Klingt nach einem Scherz, doch als ich ihr einen Besuch abstattete, tummelten sich dort mehr als 30 Touristen. Schwitzend liefen sie die Straße auf und ab, um danach erschöpft in den Souvenirshop zu pilgern. Dort kann der Besucher neben den üblichen Andenken auch eine Urkunde erstehen, die bestätigt, dass er die steilste Straße der Welt erklommen hat. Preis: Zwei Euro.
Doch zurück zu Ushuaia: Gestern wollte ich im Atlas prüfen, wie weit es von hier bis zum Südpol ist. Und was entdecke ich? Puerto Williams - eine chilenische Siedlung 50 Kilometer südöstlich von Ushuaia. Letzeres ist also keineswegs der südlichste Ort der Welt. Auf meine Nachfrage im Museum wurde der Wärter grimmig: "Ushuaia ist das Ende der Welt. Puerto Williams ist kein richtiger Ort." Doch ich habe nachgeforscht: Puerto Williams hat 2.500 Einwohner, einen Flughafen und mehrere Hotels – klingt durchaus nach Ortschaft. Besuchen werde ich das wirkliche Ende der Welt jedoch nicht, denn trotz der Nähe ist Puerto Williams von Ushuaia nur im privaten Segelboot
erreichbar. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, doch dahinter vermute ich Absicht.

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Volkssport in Taihape: Gummistiefel-Weitwurf

In: Münchner Merkur (5./6. Mai 2007)